Following in the steps of our previous essay on interior design an article about the flamboyant decorator and homme du monde Federico Pallavicini in the author’s own language
Von seinem Erscheinen in den 1920ern bis heute präsentiert das Magazin Architectural Digest private Wohnungen und Häuser, die sich durch den außergewöhnlichen Geschmack der Menschen auszeichnen, die an diesen Orten leben. So ziert etwa das Cover der Maiausgabe im Jahr 1978 ein Blick in das New Yorker Apartment von Barbra Streisand. Die gezeigten Lebenswelten könnten kaum unterschiedlicher sein, die Bilder erlauben Einblicke in private Welten, ja, fast meint man, auf die Persönlichkeit eines Menschen schließen zu können. Vor diesen Kulissen spielt sich ein gesellschaftliches Leben ab, das real wie erträumt scheint. Das feine Magazin adelt gewissermaßen die aufwändigen Anstrengungen, stilbildend zu leben und zu konsumieren, und möchte dabei seine Leser_innen zu neuen Ideen anregen. Geschmack erscheint nicht als bloßes Privileg, sondern als erlernbare Differenzierung, für die das Magazin immer neue Ideen vorstellt. Und so werden in der erwähnten Ausgabe auch die beiden Wohnungen eines „European-born American artist“ beschrieben, deren Interieurs an eine unwiderruflich verloren gegangene Gesellschaft – „hypercivilized and overprivileged“(1) – erinnern. Der Hausherr beider Apartments, eines davon in New York, das zweite in Paris, stellt jedoch gegenüber dem Autor des Artikels auch klar, dass er wohl mit, jedoch nicht in der Vergangenheit lebe. Ein abwechslungsreiches Leben lang – als das Heft erscheint, ist Federico Pallavicini nahezu 70 – hat sich dieser weltläufige Künstler nie mit rückwärtsgewandter Nostalgie aufgehalten. Die Eleganz seiner Wohnungen, weder luxuriös noch groß, entstand allein durch die souveräne Kombination aus Gegenständen und Möbelstücken, die aus unterschiedlichen Epochen und Orten stammen. Kein demonstrativer Konsum wird hier sichtbar, schon gar nicht das Werk eines beauftragten Designers. Wie in einer großen Residenz, die seit vielen Generationen bewohnt wird, schienen sich auch hier Dinge abgelagert zu haben, die an Personen, an Geschichte und Geschichten erinnern und die nichts von konfektionierter Massenware an sich haben, mochten es Erbstücke sein, vielleicht Geschenke oder sentimentale Souvenirs aus einer anderen Zeit, in jedem Fall aus nicht nur einem Leben.
Pallavicini verstand es, historischen Formen und Objekten eine zeitgenössische Lesart zu verleihen, indem er etwa eine Sammlung von Kupferstichen, gleichsam Massenmedien des 18. Jahrhunderts, dicht an dicht sowohl an den Wänden als auch am Plafond anbrachte. Die Drucke an der Decke waren hinter Kunststoff gerahmt, um Gefahr durch herabfallende Bilder zu vermeiden. Möbel aus dem Biedermeier fanden sich neben solchen aus der Zeit von Louis Philippe. Die ungewöhnliche Mischung verdankte sich den Wiener Zeiten Pallavicinis und vermittelt in ihrer unangestrengten Kombination die moderne Nonchalance des Künstlers.
Geboren 1909 als Friedrich Ludwig von Berzeviczy, war Federico Pallavicini nach seiner Kindheit in der Schweiz und einer Ausbildung an der Wiener Kunstgewerbeschule, seiner Ehe mit Klára Demel, Erbin der ehemaligen Wiener Hofzuckerbäckerei, zunächst als Reaktion auf den Nationalsozialismus in Österreich nach Italien gegangen, bevor er sich Ende der 1940er-Jahre in New York niederließ und schon 1950 die amerikanische Staatsbürgerschaft annehmen konnte. Die Projekte des Künstlers waren gleichermaßen vielfältig wie konsistent. Im schnellen Entwurf, in leichter und unangestrengter Manier, mit der sprezzatura des mondänen Aristokraten oder auch der des weltläufigen Künstlers entstanden Ausstattungen, die vom Entwurf für das „Boudoir einer eleganten Dame“(2) bis zu Wandgemälden für einen Bauernball in der österreichischen Botschaft in London (3) reichen mochten. Für Friedrich oder Fritz von Berzeviczy (erst während seiner Zeit im faschistischen Italien hatte er den Nachnamen seiner Mutter angenommen und seinen Vornamen italianisiert) war die eigene künstlerische Arbeit immer zugleich angewandt. Es braucht künstlerische Umsetzungen, um gesellschaftliche Räume, ob im Privaten oder auch für die Straße, zu eröffnen, die sich nicht zwingend in hohen Kosten, wohl aber in geschmackvoller Ungezwungenheit entfalten sollten. Die künstlerische Praxis Berzeviczys sollte erlebt und genossen werden, sie unterhielt und schuf eine Atmosphäre, ein Lebensgefühl, sodass sich selbst ein Fest wie der Londoner „Bauernball in Alt-Salzburg“ noch 1937 in gebotener ironischer Leichtigkeit feiern ließ.
Die Ausstattung eines Fests oder auch die Gestaltung von Schaufenstern in Wien für Demel und in New York für Elizabeth Arden oder Helena Rubinstein standen für diesen Künstler nicht in Widerspruch zu Ausstellungsprojekten in Galerien (4). Nicht war das eine bloß Brotjob und das andere hehre Kunsterfüllung. Solch künstlerische Unvoreingenommenheit war auch dem Selbstverständnis der Wiener Kunstgewerbeschule geschuldet. Doch mit der Schließung der Wiener Werkstätte und den massiven politischen Veränderungen, die nicht erst 1938, sondern schon zuvor in den Jahren des Austrofaschismus wahrlich schlagend wurden, verlor die Stadt auch die Klientel für solche Alltagsverfeinerungen. Auch fanden Kunstgewerbler_innen in einem Roten Wien der 1920er-Jahre nicht unbedingt Anschluss an die Forderungen nach einem berechtigten Luxus für alle und erschienen mitunter aus der Zeit gefallen. Eine auch politisch zu verstehende Industrieästhetik entsprach nicht dem handwerklichen Ethos des edlen Wiener Kunstgewerbes und seinen exklusiven Maßanfertigungen. Botschaftsbälle und Ausstellungen zu schicken Boudoirs, Schaufenster für einstige Hoflieferanten oder Dessins für die Porzellanmanufaktur Augarten ließen die Gespaltenheit der Gesellschaften dieser Zeit zwischen den Kriegen nur umso deutlicher hervortreten. Friedrich von Berzeviczys Wahrnehmung der historischen Realität fand sich sicher nicht in einer gesellschaftskritisch formulierten Position wieder und wohl eher in einer Haltung, die in Geschmack und Form geeignete Medien für individuelle Freiheit fand. Wenn Berzeviczy also aus dem Wien der 1930er-Jahre verschwand, dann auch deswegen, weil sich die Verhältnisse verengt hatten, und letztlich gab es für ihn nichts mehr zu tun (5). Er und viele seiner Kolleg_innen fanden sich vielleicht zu einem Elitarismus verdammt, der nur noch auf Unverständnis oder Ablehnung stieß, weil er zeitgemäßen Auffassungen einer demokratisch verstandenen Ästhetik nicht entsprechen konnte und auf eine Situation traf, die in wirtschaftlich schlechten Zeiten keinen Trost in einem verfeinerten Alltag fand.
Der Künstler verließ Wien und ging nach Capri, auch Anziehungspunkt internationaler homosexueller Communitys, die allzu beengten normativen Geschlechterordnungen zu entkommen trachteten.
Mittellos, aber privilegiert durch seinen Namen wie seine Erziehung, durch Netzwerke und Manieren, war der Künstler in der Lage, sich auf neue Orte und neue Umgebungen einzustellen, ohne seine persönlichen Verbindungen in Wien aufzugeben. Man mag sich Federico Pallavicini als einen Seismografen vorstellen, der empfindlich auf gesellschaftliche Veränderungen reagierte, zwar keinen Aktivismus entfaltete, doch daran festhielt, dass gerade auch Flüchtiges, die individuelle Verfeinerung jeden Alltags auch zentrale künstlerische Themen darstellen konnten, deren Bedeutung für die Zivilisiertheit einer Gesellschaft nie zu unterschätzen ist.
Als mittelloser Aristokrat, der allein auf seinen Geschmack und persönliche Beziehungen setzen konnte, war Geld so bedeutend wie gleichgültig. Als er 1989 in New York verstarb, sollte sich herausstellen, dass er nie Steuern bezahlt hatte. Die Miete für seine Wohnung (das Pariser Apartment hatte er längst aufgegeben) hatte seine kleine Pension um das Doppelte überstiegen. Doch wem sollte sich jemand, der auf seinen diversen Umlaufbahnen vielen Staaten gehört hatte, der auch als ein „American artist“ galt, in Paris, Manhattan und letztendlich auf Reisen wohl nicht selten von der Hand in den Mund lebte und doch für eine Gesellschaft stand, die von Privilegien und Sicherheiten bestimmt war, verpflichtet fühlen als vor allem der eigenen Inszenierung?
Mit der Künstlerfigur des Federico Pallavicini, sich dabei nie allzu wichtig nehmend, sei einer geschulten Oberflächlichkeit das Wort geredet, die nicht Falschheit meint, sondern die Bedeutung der Manieren, die höfliche Formen über unfeine Wahrhaftigkeit stellt – ob in Kunst oder Leben. Die Lebenskunst dieses Weltbürgers materialisierte sich in seiner hohen Kompetenz für das flüchtige Detail, bei der Inszenierung von Konsumwelten, die immer auch die Straße als Ort eines Alltagstheaters meinte, als Raum für Selbstdarstellung und eine wechselseitige Schärfung individuellen Geschmacks. Wie eine Theateraufführung, die man eben auch selbst gesehen haben musste, gestaltete er Festdekorationen und Auslagen, Bonbonnieren genauso wie die Sets für Modefotografien oder sogar Opern. In einem Interview 1988 (6) bedauerte Pallavicini einmal, dass sich Wien für ihn zu einer Kurstadt verändert hätte, zu beschaulich, zu ruhig war es ihm hier geworden, aus New York oder Paris kommend oder schon wieder im Aufbruch dorthin.
Der Künstler wandte eine Ästhetik an, die sich durch Leichtigkeit auszeichnet, deren Eleganz sich auch deswegen vermittelte, weil sie sich bei aller Kenntnis der historischen Vorbilder zugleich von diesen löste und diese mit Witz und Ironie aufgriff. Er verfolgte keine dogmatische Moderne und schuf eine public persona des weltläufigen Adeligen, „getauft in Champagner“, wie es die Herausgeberin des in New York erscheinenden Lifestyle-Magazins Flair einmal formulierte, für das der Künstler aktiv war. Pallavicini verdankte Fleur Cowles wohl auch seine unkomplizierte Aufnahme in die New Yorker Gesellschaft wie seine schnelle Einbürgerung. Man war begierig nach dieser Art von Wissen, das sich nicht so ohne weiteres lernen und lehren ließ, seinen Kenntnissen zu einem Überleben in Eleganz, zu existieren als jemand, der davon überzeugt war, dass sich auch mit einem Zuckerlpapier eine Welt eröffnen oder eben schließen mochte.
Ein moderner Effizienzgedanke blieb ihm auch im schnellen New York fremd. Zu gut dürfte er gewusst haben, dass seine unnachahmliche Besonderheit darin lang, seine Ideen in lässiger Selbstverständlichkeit und ohne aufwändige Mittel umzusetzen. Sein Erfolg war kaum ökonomisch zu bemessen, vielmehr bot er sich selbst, seinen persönlichen Lebensstil dar, der sich einer Kombination aus Privileg und Mangel verdankte, aus Weltläufigkeit und einer zeitgemäßen Form von Höflichkeit, die man einst wohl treffender als urbanitas (7) beschrieben hätte. Kein Hof war für ihn mehr stilgebend, sondern die Metropole und ihre Bewohner_innen. Pallavicini verwendete seine künstlerische Arbeit dazu, zur Eigenart einer Stadt beizutragen, mochte das mit Demel in Wien oder aber mit seiner Arbeit für neue Kosmetikfirmen wie Elizabeth Arden oder Rubinstein sein, die Make-up in ein neues Produkt für moderne Frauen verwandelt hatten. Was diesen Künstler auch heute frisch und exemplarisch erscheinen lässt, ist sein Verständnis für Luxus, verstanden als Lebensform, die sich in persönlichen Manieren genauso manifestiert wie in dem Anspruch, eine neue Hautcreme oder feines Konfekt in einer Auslage zu inszenieren, als kostbare Versatzstücke einer städtischen Welt, deren Dichte und Freiheit sich genauso aus Träumen und Möglichkeiten speist wie aus realen Bedingungen. Weil Pallavicini Produkte und ihre Preise nicht gleichsetzte, Bonbons wie Juwelen ausstellte, vermittelte er auch die wichtige Botschaft (und wollte doch bestimmt nie Botschaften verkünden), dass sich Luxus und demonstrativer Konsum nie gleichsetzen lassen und ließen. Seine Bedeutung als angewandter Künstler muss nicht speziell hervorgehoben werden, was heute noch und vielleicht sogar mehr denn je die Aufmerksamkeit für diesen Künstler wachhält, ist vielleicht auch, dass er keine Karriere verfolgte, keinen Markt bediente, sich letztendlich auf ein Netzwerk von Freund_innen und sein eigene Unabhängigkeit zurückzog, seine ironische Leichtigkeit auch in der Arbeit bewahrte und dem Ernst des Lebens die ganze Kraft des Ephemeren entgegensetzte.Ehrengrab wurde dem Künstler in Wien keines zuteil. Wohl gab es eine ernsthafte Anfrage, doch wurde diese abschlägig beschieden. Sein Lebenswerk war nicht auf Ewigkeit ausgerichtet. Darin vertritt er, in einer prekären Gegenwart, die sich so sehr dem Begehren nach Sicherheit verschrieben hat, einen radikalen Standpunkt – in flüchtiger Leichtigkeit. Er hatte wenig zu verlieren. Pallavicini blieb ganz dem Moment verpflichtet.
1 Valentine Lawford, „Cosmopolitan Panache. Federico Pallavicini’s New York and Paris Apartments“, in: Architectural Digest, 4 (1978), S. 88–95, hier: S. 91.
2 Der Entwurf für das „Boudoir einer mondänen Dame“ entstand 1929 anlässlich der Jubiläumsausstellung der Kunstgewerbeschule zu ihrem 60-jährigen Bestehen und wurde in den Räumen des heutigen Museums für angewandte Kunst, damals Museum für Kunst und Industrie, gezeigt.
3 „Bauernball in Alt-Salzburg. Vorbereitungen zum diesjährigen Ball der österreichischen Gesandtschaft in London“, in: Die Bühne, 461 (1937)
4 Wie etwa eine Ausstellung in der Hugo Gallery in Manhattan im Frühling 1951. Die Galerie war von Elizabeth Arden mitbegründet worden und zeigte u. a. Arbeiten von Friedrich Kiesler, René Magritte oder auch 1952 die erste Soloausstellung von Andy Warhol
5 In einer seiner seltenen handschriftlichen Notizen hält Pallavicini in den 1980er-Jahren fest, dass sich seine Generation aufgrund der politischen Verhältnisse und des Krieges „nicht entwickeln“ konnte. „Für unsere Generation ein wahres Unglück“, so seine Worte (siehe Autograf IN 9834/AUT Friedrich von Berzeviczy-Pallavicini in Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien).
6 1988 zeigt die damals noch Hochschule für angewandte Kunst eine Ausstellung zum Werk Pallavicinis im Heiligenkreuzerhof, die heutige Universitätsgalerie der Angewandten. Aus diesem Anlass erschien in der Kronen Zeitung eine ausführliche Rezension. Darin wird der Künstler mit folgenden Worten zitiert: „Früher spürte ich in der Kärntnerstraße die Weltstadt, heute glaube ich, in einen Kurort geraten zu sein“ (Kronen Zeitung, 25.04.1988, S. 14).
7 Vgl. etwa den Eintrag zu „Höflichkeit“ in Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm.
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Federico Berzeviczy-Pallavicini (1909 bis 1989) im Jahr 1956, Foto von K. Radkai.
Illustrations:
Foto von / photo of Friedrich von Berzeviczy-Pallavicinis Wohnung / apartment in New York, abgebildet / depicted in: Architectural Digest, Mai / May 1978, S. / p.89. Foto / photo: Hans Mayr, Architectural Digest, UaK, KA, IN M-BERZ 2
Einladungskarte / Invitation card Hugo Gallery New York, 1951, Druck auf Papier / print on paper, 15,7 x 17,4 cm, Reproduktion / reproduction: kunst-dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez, UaK, KA, IN 10.641/2/Q
Cover Flair Magazine, July 1950
This article was first published in: ‘Die Kraft des Ephemeren’, in: Der Hausfreund. Eine Wiederentdeckung des exzentrischen Werks von Friedrich von Berzeviczy-Pallavicini, ed. by Cosima Rainer und Robert Müller, Verlag der Buchhandlung Walther König: Köln 2020, S. 19-27